Eine Wanderung im Regen
Wie Nadelstiche spüre ich die Regentropfen auf meinem Gesicht, schnell klappe ich das Visier herunter, ein Fahren bei diesem Regen ist nur mit geschlossenem Visier möglich. Zudem kriecht die Kälte langsam durch die Kleider, die Nässe hat den Weg bereits gefunden. Das Auto vor mir blinkt, biegt rechts auf den Parkplatz der Autobahn und ich fahre hinterher. Mein Vater kommt mir entgegen: „Wollen wir nicht lieber umdrehen? Bei diesem Wetter wandern???“ Aber mir entkommt nur ein entrüstetes „Nein“, schliesslich war lange geplant, dass wir etwas unternehmen. Gut, eigentlich war die 3983 m hohe Meije in Frankreich unser Reiseziel, aber die ist schon längst in Schnee und Corona-Unwägbarkeiten versunken. Die Alternative ist ein kleiner Hügel, wir haben den 957 m hohen Hartmannswillerkopf als Ziel geplant. Eigentlich lächerlich, aber besser draussen auf diesem Hügel als daheim rumsitzen. Rein historisch dagegen ist dieser Platz ein Schwergewicht, aber dazu später. Und so fahren wir weiter auf der A35 Richtung Colmar, biegen nach Soultz-Haut-Rhin ab bis wir endlich in das winzige Dörfchen Wuenheim kommen.
Selbst beim Packen von den Rucksäcken lässt der Regen nicht nach und wir haben das dumpfe Gefühl, dass es so bleiben wird. Die Wetter App verspricht zeitweise Besserung, aber ob sich die Wolken an die Präzision vorgaukelnde Vorhersage kümmert, lässt sich mehr als bezweifeln.
Die komplizierten Parkregeln lassen uns ratlos zurück und wir hoffen, dass unsere Fahrzeuge dort stehen dürfen, wo wir sie zurücklassen. Die Wanderkarte zeigt uns Richtung Westen an und wir machen uns auf den Weg ins Tal, entlang des Wuenheimerbachs. Den Hartmannsweilerkopf lassen wir für heute links liegen und wenden uns nach rechts, Richtung Rimbach-prés-Guebwiller gen Norden.
Warum ausgerechnet Rimbach? Während mein Vater die historische Stätte für die Tour gewählt hat, ist für den Foodfreak natürlich nur eines wichtig: wo bekomme ich das beste Essen? Ein kurzer Besuch auf der Michelin-Webseite hat einige Optionen zu Tage gebraucht. Voraussetzung waren neben der Unterkunftsmöglichkeit auch die Ferne jeglicher Zivilisation, um einigermassen Corona-sicher unterwegs sein zu können. Mit dem L’AO hôtel & restaurant (L’Aigle d’Or) hatten wir alles unter einem Dach vereint und so war unser Ziel gesetzt.
Das Elsass ist bekannt für sein gut ausgebautes Wandernetz, doch die Wegzeichen wurden mitunter von Personen eingerichtet die das Gefühl haben, dass man da wohl schon irgendwie weiss, wo man hinlaufen sollte. Und im Gegensatz zu den mit deutscher Gründlichkeit plattgewalzten breiten Forstwegen im Schwarzwald hat es im Elsass eben noch öfters die kleinen verwunschenen Pfade.
Mit der Zeit beginnt man, die vielen unterschiedlichen Braun- und Grüntöne zu sehen. Statt blendender Sonne versinkt alles im Diffusen, dafür erhält man eine ganz neue Sensibilität für die Farbschattierungen. Der Wald ist ruhig, kein Wind, nur das stetige Tröpfeln, mal mehr mal weniger.
Das L’Aigle d’Or
Nach 4 Stunden Regen kommen wir endlich aufgeweicht in Rimbach an. Das Hotel sieht etwas verlassen aus. Die Dame hinter der Theke im Restaurant scheint sich bei unserem Anblick eher um den Teppich in den Zimmern Sorgen zu machen als dass sie freundliche Anerkennung walten lässt. Tropfnassen Wanderern könnte man ja auch etwas mehr Wohlwollen entgegenbringen. Kühl wird uns der Schlüssel überreicht und die Zimmernummer mitgeteilt.
Das Zimmer dagegen ist sehr nett und bei der Renovierung hat man doch tatsächlich Geschmack walten lassen. Das Bad ist sehr modern und den einzigen negativen Punkt finden wir in der nicht funktionierenden Heizung. Die wurde nach kurzer Reklamation aber gleich aktiviert und so hatten die Kleider die Möglichkeit, ihren Wasseranteil loszuwerden.
Das Restaurant im L’Aigle d’Or
Bei den Vorspeisen wagen wir das Neue und nehmen die Makrele mit Rande, Fenchel, Avocado und Schalottensauce. Ausserdem ein wachsweiches Ei auf Trüffel-Kartoffel-Creme und Steinpilz-Espuma, dazu Pastinaken-Chips. Eine ausgezeichnete Kombination, ein Onsen-Ei hätte noch einen Tick besser gepasst.
Beim Hauptgericht wählen wir Langeweile, nach der Tour haben wir beide Lust auf ein schönes Stück Filet vom Bœuf Charolais mit Morchelsauce. Das Fleisch ist hervorragend, Sauce ebenfalls und die Gemüse sind sehr schön angerichtet. Die dazu gereichten Pommes Frites waren etwas banal, ein schönes Kartoffelgratin hätte hier weit besser gepasst.
Apropos Kosten: das ist gelinde gesagt ein Witz! Das von diesen Beträgen ein Gastronom überhaupt leben kann, verwundert doch sehr. Insbesondere, weil auch die Unterkunft im Superior Doppelzimmer mit Frühstück gerade mal €68 kostet, eine Junior Suite für 2 Erwachsene und 2 Kinder nur €89. Die meisten Vorspeisen lieben zwischen € 9 und € 12, die Hauptgerichte um die €18-21. Und man hat trotz des günstigen Preises nicht den Eindruck, dass hier auf Qualität verzichtet wird!
Noch heute sieht man die Gräben auf vorwiegend von Franzosen gehaltenen Stellungen im Süden, im Norden die von den Deutschen. Überall betonierte Stellungen, Höhlensysteme tief in die Felsen gegraben, Stacheldraht, Inschriften. Der Berg ist als Museum ausgestaltet, alle paar Meter findet man die Tafeln mit Fakten, Geschichten, Schicksalen. Es geht unter die Haut und auch hier macht das regnerische Wetter seinen Einfluss geltend. Wir sind fast alleine, die Nässe und Kälte machen das Schicksal, dass die Soldaten hier erleiden mussten, noch realer.
Über die Begebenheiten an diesem Berg weiter zu erzählen, macht an dieser Stelle wenig Sinn. Man muss dort gewesen sein. Am Besten bei Regen, an einem kalten Herbst- oder Wintertag.
Und ein Schlusswort? Trotz der nachdenklichen Stunde zum Schluss, oder vielleicht auch gerade mit diesem Ende, haben wir eine eindrückliche Tour hinter uns, mit ganz besonderen Ausblicken und Einblicken, mit schweigenden Schritten im Regen und weinangereichter Unterhaltung beim schönen Essen. Diese Tour empfehlen wir gerne jedem weiter. Und wer unbedingt mag, der kann sie ja auch bei schönem Wetter laufen. Aber das würden wir dann doch nicht empfehlen…
Information
TOUR | TAG 1 | TAG 2 |
---|---|---|
Route: | Wuenheim – Rimbach-près-Guebwiller | Rimbach-près-Guebwiller -Hartmannsweilerkopf – Wuenheim |
Natur: | schmale, teils etwas breitere Waldwege, wenig Aussicht | sehr abwechslungsreich durch Wald, Hochwiesen, Weiden, schöne Blicke |
Dauer: | ca. 4 Stunden | ca. 7 Stunden |
Höhendifferenz: | ca. 400 m hoch / ca. 400 m runter | ca. 700 m hoch / 700 m runter |
Schwierigkeit: | einfach | mittel |
Übernachtung: | L’AO hôtel & restaurant (L’Aigle d’Or) | – |
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