Hin und wieder zieht es mich im Sommer in die Toskana östlich von Florenz in ein altehrwürdiges Hotel, traumhafte Lage, mitten in einem der ältesten Gärten der Region, unglaublicher Blick. Und trotz allem fehlt da irgendetwas. Man spürt das Fehlende, aber man kann es kaum in Worte fassen. Das Personal ist freundlich, kümmert sich, alles funktioniert. Aber es fehlt ein Geist, eine Seele, die sich um die Gäste kümmert. Jemanden, dem das Anwesen gehört, der Sorge trägt, dass sich die Gäste wohlfühlen. Wahrscheinlich sitzt der Eigentümer, falls es nicht einer Kette aus Saudi-Arabien gehört, im nahen Florenz am Schreibtisch, schaut sich am Morgen über seinem Espresso die aktuellen Übernachtungszahlen an und runzelt nervös die Stirn, sollten diese nicht seinen Vorstellungen entsprechen. Ein Anruf im Hotel genügt, und das Marketing-Team versucht mit neuen Annoncen neue Kunden zu gewinnen.
Dieses Gefühl, das etwas fehlt, hat man in vielen Hotels. Und selbst wenn sich ein Hotel-Manager mit Fleiss um seine Gäste kümmert, es ist doch etwas ganz anderes als wenn man von den Besitzern persönlich willkommen geheissen wird. Wenn einem auf dem Weg von der Reception auf die Terrasse die Besitzerin begegnet und auf dem Weg zurück der Sohn. Wenn in den Gängen Fotografien hängen von ganzen Generationen, strenge Gesichter, aus denen harte Arbeit zu lesen ist, aber die mit Stolz auf ein Werk blicken, das heute immer noch weitergeführt wird. Sie werden immer weniger, diese familiengeführten Hotels in den Tourismusdestinationen, aber im Hotel Belvedere in Grindelwald haben wir noch so eines gefunden.
Liest man die Geschichte der Familie Hauser, die seit 1904 unermüdlich für ihren Traum arbeiten, so ist das eine Geschichte von Familienzusammenhalt. Immer wieder kam es zu schwierigen Situationen, insbesondere die Weltkriege und Krisenzeiten beutelten wohl alle Hotels in der Schweiz. Doch das jeweilige Eigentümer-Ehepaar, heute in der dritten Generation, sammelte Familie und Verwandte um sich, die egal in welcher Situation das Hotel am Leben erhalten und weiterentwickeln konnten. Auf vielen Fotografien haben die Frauen die Oberhand, Schwestern, Tanten, die Bilder zeigen diesen festen Zusammenhalt. Und selbst die Kinder der jetzigen Hauser-Generation Sylvia und Urs-B. Hauser, seit 1986 verantwortlich, wählten Ausbildungen, die vermuten lassen, dass dieses Haus nach der dritten Generation munter so weitermachen wird.
Zwischenbemerkung: manchmal kann man auch froh sein, dass bestimmte Zeitabschnitte vorrüber sind, die 70er Jahre taten sich nicht als besonders stilsicher hervor und man bedeckt über diese Bilder dann besser den Mantel der Blindheit.
Dieser Ausblick!
Aber eine nette und hart arbeitende Familie reicht nicht aus, um Gäste für einen Aufenthalt zu begeistern. Eine schöne Lage ist schon die halbe Miete, und da hat der Grossvater Johann alles richtig gemacht, in dem er das Hotel genau auf den richtigen Platz gepflanzt hat: mit direktem Blick auf den fast 4000 m hohen Eiger, genauer auf die Nordwand des Eigers. Mit 1800 m ist diese fast senkrechte Wand im Juli 1938 das erste Mal durchstiegen worden. Drei Tage dauerte der mühselige und extrem gefährliche Aufstieg. Mit heutigen Techniken und dem Know-how geht es schneller: Ueli Steck schaffte es 2015 in 2 Stunden und 22 Minuten, Dani Arnold drei Jahre später in nochmal 18 Minuten weniger.
Unter den Gästen vom Belvedere dürften die Wenigsten Kletterschuhe oder kräftige Bergschuhe dabei haben, um die umliegenden Wände zu durchklettern. Von der Terrasse auf die grossartige Wand zu schauen macht aber auch ohne Bergschuhe Freude. Dennoch, wenn man schon mal da ist, dann sollte man die Bequemlichkeit im Zimmer lassen und loslaufen.
Auch wenn die Lage wunderbar ist, für ein schönes Hotel braucht es auch entsprechende Zimmer. Immer wieder wurde das Hotel renoviert und inzwischen sind die 56 Zimmer auf neuestem Standard. Im Hotel hat es sogar ein Schnarcherzimmer, also eine 2-Zimmer-Suite, bei der in einem Zimmer kräftig in Ruhe geschnarcht werden kann.
Neben dem Hotel-Restaurant Belvedere hat es einen Stock darunter das mit einem Michelin-Stern ausgezeichneten Restaurant 1910 sowie draussen auf der Terrasse die beiden Fondue-Gondeln, in denen es besonders im Winter Spass macht, ein ganz besonderes Fondue zu bekommen.
Pilzwanderung
Für unsere Gruppe hatte sich das Hotel etwas Besonderes ausgedacht. Der Cousin des Hotelbesitzers begleitete uns auf einer Pilzwanderung in den höher gelegenen Wald, auf der Suche nach Eierschwämmli, die anschliessend in unserem Menu landen sollten. Von daher war Vorsicht geboten, dass wir uns mit unseren selbst gesammelten Pilzen nicht gleich vergiften. Aber dazu kam es nicht: Eierschwämmli, Herbsttrompeten, Hexenröhrling und Steinpilz kamen mit, den Fliegenpilz haben wir den Fliegen überlassen. Leider war der Steinpilz massiv in der Unterzahl, ja geradezu in der Einzahl.
Schneiden oder Herausdrehen?
Da scheiden sich die Geister. Manche schneiden und begründen das damit, dass dann das Myzel (also das Geflecht, das die Pilze mit den Bäumen verbindet) nicht zerstört wird. Die Herausdreher wiederum behaupten, dass der abgeschnittene Strunk im Boden sonst verschimmelt und das Myzel zerstört. Wie auch immer, so die ganz wissenschaftlich definitiv bewiesene bessere Option gibt es nicht.
Putzen
Was mir besonders wichtig ist: gleich im Wald putzen, bevor man die Pilze mitnimmt. Sonst kleben die ganzen Dreckreste hinterher an allen Pilzen. Bei leicht älteren Schwammpilzen entferne ich auch gleich den Schwamm. Nur bei ganz kleinen festen Steinpilzen lasse ich den feinen Schwamm dran.
Aufbewahrung
Am Besten immer sofort essen! Pfifferlinge/Eierschwämmli hatte ich schon eingefroren, aber das konnte mich überhaupt nicht überzeugen. Bei den Steinpilzen nehme ich die kleinen Festen, schneide sie in 1mm dicke Scheiben und lege sie nebeneinander in einen Gefrierbeutel. Vakuumieren ist am Besten. Dann bei Bedarf rausnehmen, auf die Pizza legen oder eine herrliche Rahmsauce herstellen.
Gourmet-Dinner im 1910
Für den Gourmet und FoodFreak das Wichtigste: das Restaurant 1910 – Gourmet by Hausers. Das kleine Küchenteam unter der Leitung von Dávid Imre Rózsa zaubert Grossartiges aus der kleinen Küche, die sich nicht nur auf das kleine Gourmetrestaurant konzentrieren kann, sondern das grosse Hotel-Restaurant auch noch versorgen muss, dort mit einer ganz anderen Karte.
Mitten im Restaurant steht der uralte Herd, der an das Lokale erinnern soll. Und das wurde auch komplett in der Küche übernommen, absolute Konzentration auf Schweizer Produkte, und übrigens auch auf Schweizer Weine.
Gestartet wurde mit einer kleinen Tarte mit Auberginencreme, abgeschmeckt mit ungarischen Aromen (der Koch kommt von Ungarn), Pepperoni und Kräuter aus dem Garten und einem Ei, gefüllt mit Speck und einem Maisschaum, sehr schön abgestimmt.
Nach herrlichem Brot, Schinken und Butter kommt der erste Gang, der ganz unter dem Zeichen der Fermentierung steht: laktofermentierte Kohlrabi, Fenchel sowie Tropfen aus fermentierter Milch. Die Sauce wurde aus 2%igem Salzwasser, Kräutern und Apfel hergestellt, etwas Meerrettich, so ergab sich ein unglaublich frischer Starter. Dazu ein Sauvignon.
Die Zutaten des nächsten Gangs bekannt, unsere eigenen Eierschwämmli, kurz sautiert, darüber eine Pilzsuppe, darüber der Sauerklee, auch selbst gesammelt. Herrlicher Geschmack nach Wald. Dazu Chardonnay.
Wirklich ausgezeichnet der nächste Gang, der ganz klar Gemüse in den Vordergrund bringt, durch den Lammjus aber auch die Fleisch-Aromen nicht vermissen lässt. Im Zentrum die Mohrrübe, kombiniert mit Sanddorn und kleine Rettich, zum Teil gepickelt. Das Rezept habe ich von Dávid bekommen, wird bald hier publiziert.
Weiter ein extrem schlichter Gang: Rind (Ribeye, mein liebstes Stück vom Rind), Rande. Das war’s schon. Aber sowas von gut! Auch hier habe ich das Rezept, so kann es jeder mal selbst ausprobieren.
Auch die Desserts konnten voll überzeugen, das Pre-dessert mit Cassispuree, darüber ein Schaum mit Pollen darüber. Das Dessert wird dominiert von Schokolade und Himbeeren, ein schöner Abschluss vor der Praline und einem kleinen Mini-Abschluss, der der Einfachheit halber gleich auf der Hand serviert wird.
Wunderbar, kann man nur sagen. Ein wirklich schöner Aufenthalt in einem Hotel, in dem alles stimmt. Und eben am Wichtigsten, die familiäre Atmosphäre. Und das grandiose Dinner sorgt sicher auch dafür, dass die Gäste gerne wieder kommen. Das Team in der Küche ist überaus sympathisch und schafft dabei Grosses, was der Stern vom Michelin eindrücklich beweisst. Und selbst wenn es mal keine Pilze hat, lohnt sich ein Besuch allemal!
Hotel Belvedere
Dorfstrasse 53
3818 Grindelwald
Schweiz
Tel. +41 33 888 99 99
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Artikel:
Einfache Grindelwalder Heidelbeeren Tarte – Ein Besuch im Hotel Belvedere (Blog Foodwerk, 09.08.2024)
Michelin: 1 Stern
Gault Millau: 15 Punkte
Dávid Imre Rózsa, Chefkoch im 1910
Aufschwung am Eiger (Gault Millau, 02.03.2024)
Erster Michelin Stern für 1910 Gourmet by Hausers (gourmetmedia, 04.12.2023)
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FoodFreaks wurde am 23.-24. Juli 2024 zu der Pressereise mit Abendessen und Übernachtung vom Hotel eingeladen.
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