
An Bord der Excellence Princess
Die Köche stehen dabei verständlicherweise nicht alle gleichzeitig an dem Herd der Kombüse. Über einen Zeitraum von ca. 5 Wochen kocht jeweils ein Chef für die Fahrt zwischen Basel und Strasbourg oder zurück. In diesem Jahr sind die Schiffe von Mittelthurgau vom 19.10. bis 27.11.2018 unterwegs.
Für die Fahrt wurden wir in Zürich mit dem Bus pünklich abgeholt und direkt zum Schiff gebracht. Um die Koffer kümmert sich das hilfsbereite Personal und man wird gleich nach dem Check-in zu Kaffee und Kuchen in die Lounge geführt. Es geht nicht lange, kommt man mit den ersten Gästen ins Gespräch. Es überwiegt aber schnell die Neugierde, wie wohl die 16 m2 grosse Kabine aussieht. Wir werden überrascht von einem sehr schönen Interieur und einem perfekten Bad und geniessen erstmal die Ruhe. Die Fenster von Boden zu Decke geben eine wunderschöne Sicht frei auf die langsam vorbeigleitende Landschaft. Wir können nachvollziehen, warum Schiffsreisen ein Genuss sein können.
Nach dem kleinen Apero und der Vorstellung des Gastkochs werden die Gäste um 19 Uhr schliesslich ins Restaurant geführt. Das Seating ist dabei sehr unterschiedlich, es gibt 2er Tische aber auch grössere Tische, bei denen man schnell ins Gespräch kommt. Besonders interessant finden wir, dass jeder Gang angekündigt und die Hintergründe erläutert werden. Tim Raue macht auch das mit einer unglaublichen Leichtigkeit und sehr viel Humor, der Abend ist so viel mehr als nur ein reines Gourmet-Essen.
Jakobsmuschel, Holunderblüte, grüner Thaipfeffer
Gleich beim ersten Gericht spürt man, auf was Tim Raue den Schwerpunkt legt: ein Spiel zwischen feinen Aromen, besten Zutaten und einem starken Säurespiel. Diese Säure wird sich durch das ganze Menu tragen und praktisch nicht durch eine andere Zutat, sei es Beilage oder Brot in irgeneiner Form abgefangen. Doch dazu später, denn vor uns liegen fein aufgeschnittene gebeizte Jakobsmuscheln, die laut Tim Raue hier gar nicht im Vordergrund stehen sollen, sondern die unscheinbar wirkende Vinaigrette, auf der sie gebettet sind. Zutaten der Vinaigrette sind Holunderblüten, grüner Thai Chili und thailändischer Marucan Reisessig mit Gurken, Melonen und Äpfeln (vakuumiert, bei 45 Grad gegart). Der Thaipfeffer ist halbiert und sorgt auf jeder Jakobsmuschel für die Schärfespitze. Dazu dickfleischige Salatblätter aus Frankreich, denn wenngleich Tim Raue kein Fan der französischen Küche ist, den Wein und diesen Salat hat er gern.
Mit was assoziiert er das Gericht? Stellt euch vor, am Morgen barfuss einen Weg über eine kalte Frühlingswiese zu gehen, ab und zu die Füsse im Gebirgsbach. Hm, zur Erinnerung: draussen ist November und neblig kalt, da behalte ich meine Füsse lieber in dicken Socken.
Lachs, Tomate und Sternanis
Das Gericht definitiv eine schmelzende Wucht. Es ist eine Hommage an einen Freund von Tim Raue, der ihm einst Kultur näherbrachte und auch in der Küche zaubert. Ein Gericht dieses frankophonen Freundes, der einen pochierten Lachs mit Tomate und Butter kombinierte, hat Tim Raue in die asiatische Welt übernommen und neu interpretiert.
Der Ikarimi-Lachs wird in Orangenbutteröl vakuumiert und einen Tag ziehen gelassen. Dann bei 45 Grad ca. 40 min gegart.
Kombiniert wird der Lachs mit zweierlei Tomate: einmal als Tomatensud, gewürzt mit rotem Thai-Chili (wird im Teebeutel reingehängt, damit er die Schärfe nur ganz leicht abgibt) und Sternanis.
Das übrig gebliebene Tomatenpuree wird stärker mit Thai-Chili geschärft, zubereitet mit (unsere Vermutung) Sternanis, grünem Anis, Zucker, Knobli, Fischsauce und Balsamico Bianco.
Kleine Lachs-Kochkunde
Lachs darf laut Tim Raue nie in die Pfanne gelegt werden, am Besten bereitet man ihn in einer Tellerwärmschublade ohne Dampf zu. Im normalen Backofen wird der Lachs eher ausgetrocknet. Wenn man aber nur den Backofen hat, kann man den Lachs bei 65 Grad zwischen zwei aufeinandergelegte Bleche legen, am Besten ein 100 gr Stück, nicht zu dick (eher die schmalen Stücke), 40-45 min garen und bekommt so ein ausgezeichnetes Resultat.
Was ist Ikarimi-Lachs?
Diese Lachse werden nördlich des Polarkreises gezüchtet, wachsen langsam, haben festes und kräftiges Fleisch. Zudem werden sie vor dem Töten auf 2 Grad heruntergekühlt. Durch diesen Vorgang kann der Fisch stressfrei getötet und schnell weiter verarbeitet werden. Bei normalen Lachsen muss 2 Tage gewartet werden, bis die Totenstarre sich löst (das ist übrigens bei allen Fischen so). Durch diese Cold Fish Slaughtering System (CFSS) genannte Methode bleibt das Fleisch fest und die Farbe schön.
Wasabi Garnele, Mango und Nuc Mam
Tim Raue ist ein Bühnenheld und kündigt seine Gerichte mit lautstarken Vergleichen an. Während der Lachs noch ein ruhiger Rachmaninov war, soll die folgende Garnele eine Techno-Musik mit Strobo-Effekt sein. Die ausgebackene Garnele wird in Nuc Mam mit Mango serviert, darüber eine phantastische Wasabi-Creme mit gepufftem Reis (yes, endlich 5 Gramm Kohlehydrate!). Unser Tisch ist am Weitesten von der Küche entfernt, was dazu führt, dass die Garnele im Teig nicht mehr knusprig ist, wie wohl vom Chef geplant. Und ja, wir haben zuerst Fotos gemacht. Aber nur von einem Gericht, das andere wurde schnell gegessen.
Was ist eigentlich Nuc Mam? Für Nuc Mam wird intensive Fischsauce mit etwas Wasser, Limettensaft, Chili, Knoblauch und Reisessig vermengt.
Sehr speziell war die Weinbegleitung: ein süsser Riesling Auslese.
Fischsauce?
Die beste Fischsauce ist wohl die Red Boat Fischsauce der Vietnam’s Phu Quoc Island, auf der schon seit 200 Jahren diese Sauce produziert wird. In Holzfässern werden dafür Sardellen (Black Anchovies) mit viel Salz vermengt und bei den heissen Temperaturen über ein Jahr fermentiert. Aber auch an der Amalfiküste in Cetara werden seit Römerzeiten Fischsaucen aus Sardellen und Salz hergestellt: die Colatura di Alici werden ähnlich hergestellt, die Fische aber ausgenommen, Kopf abgetrennt, mit Salzschichten in Fässer eingelegt und oben beschwert. Das ablaufende Fischwasser wird dann nochmals oben eingefüllt und wird somit nochmals intensiviert. Wäre mal interessant, die beiden Fischsaucen zu vergleichen, aber die Red Boat Fischsauce ist in der Schweiz leider nicht erhältlich. Zeit, dass sie von FoodFreaks importiert wird 😉
Tim Raue
Tim Raue hat bereits eine aussergewöhnliche Laufbahn hinter sich. Der 1974 geborene Berliner (er empfindet sich nicht als Deutscher sondern als Berliner) ist unter einfachsten Verhältnissen in Kreuzberg aufgewachsen. Dabei hat er wohl alles ausser einer braven Schulausbildung durchgemacht. Aber aus irgendwelchen glücklichen Umständen hat er den Weg zum Koch gefunden und sich langsam emporgekocht, mit 23 bereits Chefkoch. Massgeblich für die jetzige Küche waren die Reisen nach Asien, die er mit 30 Jahren startete. Er liebt die unglaublich vielfältige Küche Chinas, die wunderbaren Kombinationen Vietnams und die absolute Präzision der Japaner und vereint das in seinen Gerichten zu einer sauer-scharfen, manchmal sau-scharfen Kombination.
Die Hauben und Sterne an dieser Stelle aufzuzählen sprengt bald den Rahmen, es sind jedenfalls viele. Desgleichen wenn man versuchen möchte, seine Restaurants zu zählen: eine Brasserie hier, ein Schiffrestaurant dort. Ständig auf der Suche nach Freunden (äh, er bezeichnet sie als Sponsoren) vergrössert er das Raue-Imperium stetig. Hm, Zürich fehlt noch auf der Landkarte, aber vielleicht konnte er an diesem Abend einen Gast überzeugen. Selbst gehört ihm nur das Restaurant Tim Raue, Ausgangspunkt seiner Touren, fest verwurzelt im Kiez, wo er herkommt.
Erlebt man seine Radikalität in Geschmack, Küche und Umgang erklärt sich vieles durch seine Herkunft. Tatoos – bei ihm verboten in der Küche. Naturwein – ab in den Rhein damit. Brot, oder gar Lactose – Teufelszeug, weg damit aus der Küche. Sauvignons – stinken meist nach Katze. Er ist ein Perfektionist, der unbeeindruckt von allem seinen Weg geht. Aber, auch für ihn ist schlussendlich der Gast zentral, denn genau diesem möchte er durch seine Gerichte einen wunderbaren Abend bereiten.
Peking Duck Salat
Tim Raue kündigt das Gericht als Arme-Leute-Essen an, bei ihm im Restaurant ist es das Personalessen. Er kocht aus den Enten-Füssen zusammen mit Pflaumen und der 5 Spices Gewürzmischung (Szechuanpfeffer, Sternanis, Zimt, Fenchel, Nelke) eine braune Sauce, mariniert darin für eine Woche das Keulenfleisch und serviert es dann lauwarm mit süss-saurer eingelegtem Ingwer und Gurke, Kopfsalat und Petersiliendressing (warum Petersilie wusste er auch nicht mehr, hat wohl irgendwann mal in der Küche gestanden), darunter aus Lauch- und Apfelstücken ein Kompott gekocht mit Jalapeño-Chilis, darüber einen Crunch aus Hautresten, frittiert, getrocknet und gemörsert mit Cashew-Kernen und indischen Papadam-Chips.
Auf die Frage von Sven Epiney, mit was dieses Gericht zu assoziieren sei? „Wir sitzen in Peking auf der Strasse, haben die Schale in der Hand und haben das Gefühl, mittendrin auf die verbotene Stadt zu blicken.“ So ganz hat es nicht geklappt, wir sitzen im Boot und essen das Personalessen.
Dazu passend ein ausgezeichneter Pinot Noir von Markus Schneider, wunderbarer Abgang. Obwohl ich kein Freund mehr von Spätburgundern bin, dieser überzeugt mich vom Gegenteil.
Black Pepper Wagyu Beef und Allium
Wagyu Beef kennt inzwischen bald jeder, das ist dieses unglaublich teure fettige Fleisch aus Japan. Tim Raue verarbeitet raue Mengen von den edlen Tieren und ist besonders von den Bäckchen fasziniert, die er lange gegart hat. So kommen wir in den Genuss von einem grossen unglaublich zarten Stück Fleisch, serviert mit etwas kalter Sauce (leider waren die Teller nicht gewärmt). Traditionell wird das Black Pepper Beef in Würfel geschnitten und im Wok ganz scharf angebraten, dazu schwarzer Pfeffer, dunkle Sauce, Knobli, Zwiebel und Peperoni. Tim Raue nennt das Gericht nicht umsonst Allium (lat. für Zwiebelgewächse), denn er mariniert die Bäckchen über zwei Tage und schmort sie dann in kräftiger Sauce mit viel Knobli und Zwiebel.
Serviert wird das Fleisch mit thailändischen Schnittlauchblüten, einer Creme aus geröstetem Frühlingslauch und jungem türkischem Knoblauch und auch der Crunch besteht als gerösteten Zwiebeln und Knobli. Die fein gepellten Perlzwiebelchen (Raue: „Für einen 10kg-Sack brauchen 6 Praktikanten den ganzen Tag.“) sind in Portwein-Essig und Reisweinessig aus China zwei Wochen vakuumiert.
Der Rough Cut aus der Pfalz von Markus Schneider ist ein herrlich dunkler kräftiger Wein, der sich dem Gericht entgegenstellen kann. In der Lautsprache von Tim Raue handelt es sich um einen lauten tiefergelegten Bentley…
Wagyu
Kobe ist eine Stadt in Japan und nur Tajima von dort (aus der Präfektur Hyogo) dürfen als Kobe-Rinder verkauft werden. Bis 2012 wurde überhaupt kein Kobe-Fleisch exportiert, inzwischen sind es wenige Tiere. Aber nicht jedes Tajima-Rind in Kobe ist auch ein Kobe-Rind. Nur wenige Tiere (3000/Jahr), die den Qualitätsstandards genügen, „werden“ Kobe-Rinder. Der Import war übrigens auch deshalb nicht erlaubt, weil die Rinder nicht gemäss europäischen Richtlinien geschlachtet wurden.
Die Qualität des Fleischs ist in Stufen von 1 bis 5 (exzellent) eingestuft. Dann gibt es den Ertragsgrad von A (sehr gut) bis C. Weiter gibt es den BMS (Beef Marbling Standard) von 1-12, der sich nach dem Fettanteil und der Marmorierung orientiert.
Weitere etwas unbekanntere Gegenden sind Kagoshima, Miyazaki und Shiga. Gemäss Tim Raue ist Kobe-Fleisch nur viertklassiges Fleisch. Gemäss der Kobe-Standard muss das Kobe-Fleisch mindestens A4 oder A5 haben bzw. mindestens BMS 6 oder höher.
Ernährt werden die Tiere u.a. mit einem Nebenprodukt der Bierherstellung, Bier bekommen sie keines. Aufzucht ist in kleinen Herden, geschlachtet wird meist erst nach über 30 Monaten. Massiert werden sie nur, wenn sie zuwenig Auslauf haben.
Yuzu Cheesecake, Caramel Beurre Salé und Limette
Die sauren Komponenten machen auch vor dem Dessert nicht halt. Eine interessante Kombination dennoch, allein die Halbkugel aus weisser Schokolade ist so dick, dass keine rechte Freude aufkommen mag.
Begleitet wird der Gang durch einen süssen Auslese Bechtheimer Heilig-Kreuz Rieslaner aus Rheinhessen, Weingut Dreissigacker.
Fazit
Unser Fazit? Wir waren schon oft auf Schiffen unterwegs: lange Touren nach Afrika, Sizilien, Schottland. Aber es waren immer Fähren, die das Ziel haben, von A nach B zu fahren. Eine Schiffsreise für den Genuss konnten wir noch nie vorher erleben. Vor dem Fenster gleitet die Auenlandschaft langsam vorbei, erste nette Gespräche mit Unbekannten entwickeln sich, an den Staustufen heisst es warten, bis man drankommt und schliesslich bis das Wasser abgelassen wird und man staunend vor den gigantischen Bauwerken verstummt. Falls jemand ständig online sein muss: dann bleibt man besser zuhause, denn im Grenzgebiet zwischen Deutschland und Frankreich scheint man sich die Verantwortung für eine lückenlose Abdeckung gegenseitig zuzuschieben, mit dem Ergebnis, dass man medial soziale Ruhe geniessen kann.
In der Kabine ist das Empfinden von der Verlangsamung noch stärker zu spüren. In schönem Luxus liegt man auf dem Bett, die Gardinen zurückgezogen geben die raumhohen Fenster den Blick frei auf die im Nebel verschwindenden Wälder und man hat das Gefühl, hier recht alleine auf der Welt zu sein.
Und der eigentliche Event des Abends? Die Idee, ein Gourmetfestival mit einer Schiffsreise zu kombinieren, ist schlicht wunderbar. Tim Raue war ein phantastischer Schauspieler, der hervorragend mit dem Moderator Sven Epiney kommunizierte. Kaum ein Satz von ihm, der nicht vom Lachen der Gäste goutiert wurde, so eine Show dürfte man wohl in seinem Restaurant nicht erleben. Das Menu selbst blieb freilich etwas hinter unseren Erwartungen zurück. Und, ein bisschen Selbstkritik darf vielleicht auch sein, dass wir uns nicht intensiv vorab mit der Küche von Tim Raue auseinandergesetzt haben. Für unseren Gout war es etwas zu säurebetont. Insbesondere deshalb, weil keine Kohlehydrate in Form von Reis, Brot oder sonst etwas gereicht wurde.
Aber das tut dem Gourmetfestival in keinster Weise einen Abbruch, denn es sind auf allen Fahrten die ganz Grossen der Cuisine vertreten.
Informationen
Reisebüro Mittelthurgau
Fluss- und Kreuzfahrten AG
Oberfeldstrasse 19
8570 Weinfelden
Telefon +41 (0)71 626 85 85
E-Mail info@mittelthurgau.ch
Besucht am 23.-24.11.2018
FoodFreaks wurde für das Abendessen und Schiffsreise eingeladen.