Noch vor einigen Jahren war es von Zürich nach Saas Fee eine halbe Weltreise. Mit dem Auto hat sich da wenig geändert, wenn es gut läuft, ist man in 4 Stunden dort. Aber wann läuft es schon gut, bei all den Staus? Mit dem Zug hat sich hingegen einiges geändert. Die SBB Verbindung zeigt eine Fahrt unter 3 Stunden an, was für ein Luxus. Nur ein Mal umsteigen in Visp und der Bus windet sich langsam nach hinten ins Tal. Spätestens hier hat man keine Nerven mehr, sich hinter Buch oder Notebook zu verstecken. Die kurvige Fahrt lässt einem nach draussen schauen, die Täler werden tiefer und die Berge imposanter, je weiter man sich Saas Fee nähert. Die letzten Besuche liegen Jahre zurück, das ehrwürdige Hotel Fletschhorn unter der Küchenleitung von Markus Neff gibt es gar schon viele Jahre nicht mehr.
Der Busterminal liegt am Rande des Dorfes, von hier aus geht es nur noch zu Fuss weiter. Oder mit einem der kleinen E-Transporter. Unser Ziel ist zu nah, nur ein paar Minuten laufen, über kleine Gassen erreichen wir das Hotel La Gorge, das wie der Name schon sagt, unten an der Schlucht liegt. Das kleine Boutique-Hotel braucht keine Handvoll Sterne, wir fühlen uns sofort wohl. Das Zimmer (insgesamt 15 Zimmer) überrascht mit einem ausgesprochen stilvollen Ambiente, hier treffen sich gekonnt das Moderne mit dem Rustikalen, falls man diesen Begriff hier überhaupt anbringen darf. Der Fokus liegt auf Holz, wunderschön bearbeitet. Das Bett scheint zu fliegen, bei der dezenten Beleuchtung hat man nicht gespart und der geschliffene Betonboden fühlt sich alles andere als kühl an. Im Bad faziniert das Waschbecken, komplett aus Holz herausgearbeitet, mit vielen Schichten Bootslack konserviert, um auch ja dem täglichen Gebrauch zu trotzen. Sehr gewagt, so etwas aus Holz zu produzieren, aber das scheinen wirkliche Fachleute am Werk gewesen zu sein.
Vom Balkon aus breitet sich das volle Panorama vor uns aus, einzig getrübt durch die dicken Regenwolken, die uns nach langer Sonnenphase etwas das Wochenende verderben wollen. Doch in den Bergen kann sich das Wetter schnell ändern und so vergessen wir erstmal, dass wir am nächsten Morgen um 9 Uhr beim Bergführer für die Alpine Gorge Tour angemeldet sind und begeben uns zwei Stockwerke tiefer ins Restaurant.
Bevor man heute ein Hotel oder Restaurant besucht, erfolgt das routinemässige Abgrassen von Webseite, Insta-Account, google-Rezensionen, … Mit jedem Bild und Kommentar baut sich ein inneres Bild des Restaurants und der Gerichte auf, und doch ist man immer wieder überrascht. Atmosphäre, Gefühle, Haptik sind in Bildern nicht einzufangen. Und während man von den Bildern der Webseite ein eher schlicht-kühles Ambiente erwartet hätte, fühlt man sich plötzlich wunderbar aufgehoben in den alten Räumen, die wie die Hotelzimmer, einer grossen Renovierung unterzogen worden sind. Statt auf Betonboden schwebt man geradezu auf dem weichen Teppich zu den passend gedeckten Tischen. Wir nehmen über der Schlucht Platz. Richtig, über der Schlucht, denn der Glasboden gibt den Blick auf den Wildbach frei.
Wir haben ausgesprochenes Glück, heute Abend hat das Restaurant den ersten Abend nach der Saisonpause wieder auf. Das hier erstmal alles wieder einlaufen muss, merkt man hingegen überhaupt nicht. Der Service ist professionell und kennt sich hervorragend aus, egal ob bei Wein oder Kräutern. Die Karte überrascht und man möchte am Liebsten gleich von allem etwas kosten.
Auch wenn die kalten Vorspeisen spannend klingen, aufgrund des kühlen Wetters wählen wir Cappelletti sowie die Flusskrebse. Die Cappelletti mit Hobelkäse, Tomate, Pinienkernen und Oliven, serviert mit einem leichten Schaum, konnten bereits überzeugen, wurden aber noch übertroffen von den Flusskrebsen, die mit Erbsen, Radischen und Zitrusfrucht ergänzt wurden. Grosse Klasse! Serviert auf wunderschönen Tellern, heiss, eine Augenweide, die uns überrascht.
Auch die Suppen lassen wir aus, obwohl diese mit Wassermelone bzw. Brennessel sicher ebenso überzeugt hätten. Auch bei den Hauptgerichten müssen wir uns entscheiden und können nicht gleich alle vier Gerichte bestellen. Das Sulmtaler Poulet kam gleich in drei Varianten, so wurde nicht nur das Filet serviert sondern auch das dunkle Fleisch, ganz ausgezeichnet zubereitet. Begleitet mit Stangensellerie, Apfel und Majoran, eine gelungene Kombination. Auch das Kaninchen mit Spargel, Kerbel und Kirsche war eine nicht alltägliche Kombination, die gut harmoniert hat.
Dessert? Nein, bitte nicht, wir sind eigentlich satt. Aber etwas Frisches vielleicht? Kokosnuss, Mango, Passionsfrucht vielleicht? Nein, wir entscheiden uns für das Ungewöhnliche: Gin, Gurke, Rosmarin, Limette. Ob es sich gelohnt hat? Absolut! Äusserst stilvoll angerichtet, perfekt abgestimmt, so ein Dessert schliesst einen Abend stimmig ab. Trotz des frischen Desserts sind wir froh, nicht noch lange laufen zu müssen und so fallen wir in die Betten, neugierig was der nächste Tag in Saas Fee für uns bereithalten wird.
Fazit
Sucht man im Gault Millau nach den Adressen für Saas Fee, mag man etwas enttäuscht sein. Da wäre die Schäferstube (hier der FoodFreaks Bericht) und dann… nichts. Nach dem Abend im Zer Schlucht bleiben hingegen nur Fragezeichen bzgl. des Guides. Hat man sich an diese Ecke noch nicht verirrt? Die Küche ist kreativ, von hohem Niveau, alles perfekt zubereitet, und das gleich am Eröffnungsabend. Absolute Empfehlung!
Als Ergänzung zum Restaurant sollte man auch gleich im Hotel übernachten (oder eben andersherum), auch hier lohnt sich der Aufenthalt. In dem kleinen Hotel fühlt man sich sofort wohl.
Besucht am 09.-11.06.2023
FoodFreaks wurde vom Tourismusverband Saas Fee für das Restaurant und den Hotelbesuch eingeladen. Wir lassen uns jedoch durch die Einladungen nicht beeinflussen.
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